Störung der Geschäftsgrundlage von Miet- und Pachtverträgen/ Gesetzesänderung

Einschätzung der Auswirkungen einer gesetzlichen Neuregelung in Art. 240 § 7 EGBGB auf Ansprüche des Gewerbemieters

  1. Seit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 gibt es eine Vielzahl von gerichtlichen Einzelentscheidungen darüber, ob Gewerbemieter einen Anspruch auf Anpassung vertraglicher Regelungen haben, weil sich die Rahmenbedingungen des Betriebs ihres Gewerbes verändert haben. Denkbar ist eine so genannte „Anpassung der Geschäftsgrundlage“ gemäß § 313 Abs.1 BGB.

Derzeit ist aber keine einheitliche Rechtsprechung erkennbar, ob ein Anspruch des Mieters aus o.g. § 313 BGB besteht. Ganz überwiegend wird ein Anspruch abgelehnt (LG Heidelberg, Frankfurt/Main und Zweibrücken: IMR 2020, 375; IMR 2020, 419; IMR 2020, 460; IMR 2020, 461, LG München II, Urteil vom 22.09.2020 - 13 O 1657/20, LG Stuttgart, Urteil vom 19.11.2020 - 11 O 215/20, LG München II, Urteil vom 06.10.2020 - 13 O 2044/20). Die den Mieter bevorzugende Auffassung des LG Mönchengladbach ist vereinzelt geblieben.

  1. Der Deutsche Bundestag hat am 17.12.2020 das Gesetz zu Miet- und Pachtverhältnissen während der COVID-19-Pandemie verabschiedet. Art. 240 des Einführungsgesetzes zum BGB (EGBGB) wurde um einen § 7 ergänzt:

"Störung der Geschäftsgrundlage von Miet- und Pachtverträgen
(1) Sind vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar, so wird vermutet, dass sich insofern ein Umstand i.S.d. § 313 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwer wiegend verändert hat.
(2) Absatz 1 ist auf Pachtverträge entsprechend anzuwenden."

§ 7 enthält damit eine so genannte „gesetzliche Vermutung“, dass sich ein Umstand i.S.d. § 313 Abs. 1 BGB, der bei Vertragsschluss zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nachträglich schwerwiegend verändert hat, wenn gewerblich vermietete Räume infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie für den Betrieb nicht oder nur mit erheblichen Einschränkungen verwendbar sind. Diese Vermutung ist indes widerlegbar. Außerdem ist stets unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden, ob und in welchem Umfang ein Anspruch auf Anpassung des Vertragsinhalts insbesondere hinsichtlich der Mietzinszahlungsverpflichtung besteht.

Einige Gewerbemieter kündigen in diesen Tagen als Konsequenz des nunmehrigen zweiten harten Lockdowns unter Hinweis auf eine "Gesetzesänderung" an, zukünftige Mieten lediglich zum Teil und/oder lediglich unter dem Vorbehalt der Rückforderung zu zahlen. Zum Teil kündigen sie die Rückforderung bzw. eine Verrechnung bereits geleisteter Mietzahlungen in der Pandemiezeit an.

O.g. Gesetzesänderung bietet aber nur auf den ersten Blick große Vorteile und eine zu Gunsten des Mieters wesentlich verbesserte Rechtslage.

  1. Warum hilft die Neuregelung nur eingeschränkt?
    § 7 beinhaltet die Vermutung, dass sich ein Umstand i.S.d. § 313 Abs. 1 BGB, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwer wiegend verändert hat, wenn vermietete oder verpachtete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblichen Einschränkungen verwendbar sind. Diese Vermutung ist auch rückwirkend auf den ersten Lockdown anwendbar.

Allerdings ist die Auswirkung des § 7 für die Praxis u.E. nur begrenzt. Denn erstens ist ein Anspruch nach § 313 BGB nur denkbar, wenn DREI Voraussetzungen vorliegen, die o.g. Vermutung betrifft aber nur eine der drei Voraussetzungen, nämlich

Eine Regelung zu den beiden letztgenannten Voraussetzungen trifft § 7 ausdrücklich nicht. Deshalb hat der Mieter wie früher schon darzulegen und zu beweisen, dass die Parteien bei Kenntnis der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden Folgen eine abweichende Regelung getroffen hätten und es für den Mieter unzumutbar ist, weiterhin am Vertrag festzuhalten. Ergo bedeuten die Änderungen in § 7 Art. 240 EGBGB keine abschließende oder pauschale Regelung der Auswirkungen der Pandemie auf Gewerberaummietverhältnisse- auch, wenn einige Mieter in ihren aktuellen Vermieteranschreiben diesen Eindruck erwecken wollen. Insbesondere wurde keiner Vertragspartei das Risiko der Nutzbarkeit der Mietsache einseitig zugeordnet.

Zweitens trifft § 7 keine Regelung über die Rechtsfolge einer gestörten Geschäftsgrundlage. Es ist demnach den Vertragsparteien überlassen, eine Anpassung zu verhandeln und z.B. eine Minderung, eine Stundung oder einen Erlass oder eine Mischung aus solchen Varianten auszuhandeln (oder ein Gerichtsurteil hierzu zu erwirken). Dabei spielen die o.g. Umstände des Einzelfalls die größte Rolle. Wir geben hier einen kurzen Überblick, welche Argumente im wesentlichen ausschlaggebend sein dürften und die bei einer rechtlichen Prüfung im Rahmen der o.g. „Unzumutbarkeitsprüfung“ verortet werden:

Entscheidend bleiben die konkreten wirtschaftlichen Folgen für Mieter und Vermieter. Sofern durch staatliche Hilfen Umsatzeinbußen gelindert werden, ist dies zu berücksichtigen; der Mieter ist u.E. verpflichtet, alle Möglichkeiten mit größtem Nachdruck zu verfolgen und auszuschöpfen. So können beispielsweise bei einem Gastronomiebetrieb dessen Materialeinsatz aufgrund des Lockdowns ausgesetzt und das Personal in Kurzarbeit ist, die staatlichen Hilfen eine volle Zahlung des Mietzinses ermöglichen; bei einem Einzelhandelsbetrieb, der den Wareneinkauf noch für das Weihnachtsgeschäft vorgenommen und bezahlt hat, kann die Zahlung existenzbedrohend sein.

Selbst innerhalb der vergleichbaren Leistungsangebote gibt es erhebliche Unterschiede.

Wer 10 Filialgeschäfte und einen zugehörigen Onlinehandel führt, wird konkret darlegen müssen, wo er den Umsatz generiert, wo er durch unternehmerische Maßnahmen einsparen kann und wie er Umsatzeinbrüche kompensieren kann.

Außerdem ist zu berücksichtigen, ob und inwieweit es dem Mieter nach dem ersten Lockdown im Frühjahr grundsätzlich möglich war, sich auf einen zweiten Lockdown "einzustellen" und insofern jedenfalls teilweise "vorzubeugen".

Der Vermieter muß i.d.R. seine Immobilie finanzieren und ist auf ständige Mieteinnahmen angewiesen, um sein Darlehen zu bedienen. Ohne Mieteinnahmen droht die Verwertung der Immobilie- und das will der Mieter auch nicht.

Zusammengefaßt: Nach wie vor trifft den Mieter eine sehr erhebliche Darlegungslast, bevor er einen Anspruch aus § 313 BGB durchzusetzen vermag.

Das gesetzgeberische Ziel der neuen Regelung ist, die Verhandlungsposition von Gewerbemietern zu stärken. Wir verstehen die Regelung als Aufruf an die Vertragsparteien, unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen eine einvernehmliche Lösung auszuhandeln, anstatt eng am Buchstaben des Gesetzes orientiert eine streitige Auseinandersetzung zu suchen. Ziel sollte es sein, das beiderseitige wirtschaftliche Überleben zu sichern. Wir beraten Sie und helfen, Vereinbarungen rechtssicher zu gestalten.

Ihr Ansprechpartner:
Rechtsanwalt Thomas Edel
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